Über die Zivilcourage des Robert Kovac – Zwei Seiten einer Medaille

von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der DNS 08/2017

Da sage noch einer, Bürokratie und Politik seien nicht zu schnellem Handeln fähig! Es brauchte nicht einmal 24 Stunden, nachdem die Fußball-Ikone und jetziger Co-Trainer von Eintracht Frankfurt, Robert Kovac, einen flüchtenden Räuber ergriffen und der Polizei übergeben hatte, da ließ Ministerpräsident Volker Bouffier aus der hessischen Staatskanzlei heraus bereits verlauten, er werde Kovac mit der „Hessischen Medaille für Zivilcourage“ für seinen Einsatz ehren.

„Bravo“, möchte man rufen, denn der Mut und Einsatz des Fußballers, der bereits zu seiner aktiven Zeit als beinharter „Abräumer“ in der Abwehr geachtet und gefürchtet war, verdient bedingungslosen Respekt! Wer wünschte sich nicht mehr Menschen, die bei Verbrechen oder Unglücksfällen nicht wegsehen, sondern Handeln!

Was war geschehen? In den Abendstunden eines lauen Maitages ging Kovac mit seinem Hund im Frankfurter Westend spazieren, als ihm ein jüngerer Mann auffiel, der vor einer Filiale der Sparkasse in einem Gebüsch kauerte und dieses verließ, als ein Senior die Filiale betrat, um an einem Bankautomaten Bargeld zu ziehen. Als der Senior die Bank verließ, folgte ihm der Mann, weshalb Kovac stutzig geworden, beiden folgte. Was Kovac dann wegen der Dunkelheit der Straße nicht mehr sehen konnte war, wie der Jüngere den Senior von hinten fasste, beide zu Boden stürzten, der Räuber dem Opfer die gerade gezogenen 40 Euro entriss und flüchtete. „Hilfe! Überfall!“, nahm der couragierte Sportsmann noch wahr, als der Räuber gerade an ihm vorbeispurtete, worauf Kovac, immer noch in hervorragender körperlicher Verfassung, hinter ihm herlief. Spekulation, ob er ihn zu fassen bekommen hätte, wenn der Täter nicht unter dem Einfluss von Alkohol gestanden hätte und über ein niedriges Gebüsch stolperte. Das jedenfalls war sein Verhängnis. Robert Kovac packte sich den Übeltäter, fasste ihn energisch am Handgelenk und zerrte ihn in ein nahegelegenes Steak-Restaurant, wo er nur Minuten später der hinzugezogenen Polizei übergeben wurde. Soweit der Sachverhalt in groben Zügen. Wer hier Opfer, wer Held und wer Schurke ist, erklärt sich von selbst. Eine einfache Geschichte mit klarer Rollenverteilung also! Über das hinaus, was gerade beschrieben und in den Tagen nach Tat und Heldentat in Presse, Funk und Fernsehen berichtet wurde, gibt es aber manch Hintergründiges worüber nichts bekannt wurde, was für die Beurteilung der Tat und des Täters durchaus eine Rolle spielt.

Tomas, 28, hatte die Weihnachtsfeiertage noch zusammen mit Greta in seinem litauischen kleinen Heimatstädtchen damit verbracht, das Baby zu bestaunen. Jenes kleine Wunder, das da in ihr Leben getreten war, konnten beide noch gar nicht richtig fassen! Wie sehr hatte er sich selbst immer eine eigene Familie gewünscht. Und nun war es endlich soweit! Aber Nachts kamen immer Öfter die Dämonen, die ihm einflüsterten, dass er, der nun schon seit Monaten keine Arbeit mehr fand, obwohl er doch wirklich alles probiert hatte, seine Familie verlieren würde. Was konnte er Greta und dem Baby bieten, wenn keiner von ihnen ein regelmäßiges Einkommen hatte? Wie lange würde sie das mitmachen? Nach vielen schlaflosen Nächten und zahllosen Diskussionen mit Greta saß Tomas schließlich mit ein paar Habseligkeiten und dem letzten Ersparten in einem dieser Minibusse, die die Träumer, die Verzweifelten, ja oft auch die Gauner, im „Ameisenverkehr“ dorthin nach Deutschland bringen, wo das Schicksal hellere Tage verheißt. In seinem Fall, hieß dieser Ort Frankfurt am Main, wo ein Bekannter bereits „schwarz“ als Autoaufbereiter arbeitete und der Chef jede helfende Hand brauchen könnte. In spätestens 8 Wochen käme er zurück, so musste Tomas es Greta versprechen. Mit dem erarbeiteten Geld, so versprach er ihr, werde man erst einmal ein paar Monate auskommen. Womöglich sei sogar ein neuer Kinderwagen, den sie sich für das Baby so sehr wünschte, drin. Die helleren Tage begannen für Tomas zunächst in einem schummrigen kleinen Pferch, einer der zahllosen Frankfurter Wanderarbeiter-Unterkünfte, in der er ein Kellerzimmer zusammen mit drei anderen osteuropäischen Männern teilte. Es kam, wie es kommen musste! Der Chef der Aufbereitungsfirma brauchte keinen Arbeiter und obwohl er „von Pontius nach Pilatus lief“, fand Tomas in Frankfurt keinen Job, woraufhin sich seine Ersparnisse rasant reduzierten. Er schämte sich vor Greta so sehr, dass er ihr in den nächtlichen Telefonaten erzählte, er verdiene ganz gut und der Chef sei auch nett. Haltlos driftete er durch die Tage, er begann mit seinen Zimmerpartnern mehr und mehr auch tagsüber dem Alkohol zuzusprechen, bis er irgendwann nicht mehr konnte. Von seinem letzten Geld kaufte er das Rückfahrtticket in die Heimat und machte betrunken einen Riesenfehler! Um nicht mit leeren Händen zu Greta und dem Baby zurückzukehren, klaute er Babykleidung und Hipp-Gläschen in einem Drogeriemarkt, wo ihm die Ware an der Kasse prompt aus dem Hosenbund rutschte und ihn die Kassiererin und ein Ladendetektiv stellten. Betrunken und frustriert rangelte Tomas mit dem Detektiv und widersetzte sich der Festnahme. Das Ergebnis: Eine Anzeige wegen räuberischen Diebstahls und Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt-Preungesheim.

Der düstere Sitzungssaal E 22 im muffigen Frankfurter Justizgebäude der 70‘ er-Jahre ist kein Ort der zum Verweilen einlädt. Und so war ich am 8. Mai diesen Jahres froh, dass sich die Verhandlung gegen Tomas nicht länger als nötig hinzog. Ich verteidigte Tomas mit der Gewissheit, dass nach nunmehr 4 Monaten Untersuchungshaft ein Urteil ergehen würde, welches ihm die Freiheit zurück brächte. Es kam genau so. Das Gericht urteilte, er habe sich keines räuberischen Diebstahls schuldig gemacht, sondern sei nur wegen „einfachen Diebstahls“ zu bestrafen. „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte wird wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Die Strafe ist durch die verbüßte Untersuchungshaft abgegolten. Der Haftbefehl wird aufgehoben.“, verkündigte die Richterin zum Schluss der Verhandlung. So weit so gut! Tomas war ein freier Mann. Wie er denn jetzt ohne Geld nach Litauen komme, fragte er mich über die Dolmetscherin. Er brauche wohl 70 Euro um einen Platz im Bus bezahlen zu können. Als ich ihm empfahl, seine Verwandten in Litauen von der Bahnhofsmission aus anzurufen, damit diese das Geld per „Western Union“ transferieren sollten, schwante mir bereits Böses.

In unserem Rechtssystem gibt es keine verbindliche Regelung, wie mit ausländischen Angeklagten zu verfahren ist, die mittellos nach der Hauptverhandlung aus der Untersuchungshaft entlassen werden und zurück in ihr Heimatland reisen wollen. Ich habe es erlebt, dass mitten in der sachsen-anhaltinischen Diaspora, dem Jerichoer Land, ein Mandant im Winter, bei Minus 5 Grad Außentemperatur, nach der Gerichtsverhandlung vom Landgericht Stendal aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Der Gefangenentransport, der ihn aus der JVA Magdeburg zum Gerichtstermin gebracht hatte, weigerte sich, ihn nach dorthin mit zurücknehmen: „Versicherungsrechtliche Gründe“. Kein Scherz! Der Angeklagte erhielt noch 20 Euro Verpflegungsgeld und durfte sich dann zurück nach Polen „durchschlagen“. In kurzer Hose und T-Shirt übrigens, denn verhaftet worden war er im Juli bei brütender Hitze. Ich habe ihm in diesem Fall „privat“ ausgeholfen, so dass er ohne Erfrierungen die Heimreise antreten konnte. Bei Tomas hatte ich auch kurz über ein „Sponsoring“ nachgedacht, aber dann den „Igel im Portemonnaie“ gespürt — und ihn eben auf „Western Union“ verwiesen. Robert Kovac würde sonst heute von Volker Bouffier keine Medaille verliehen bekommen – und ein argloser Rentner wäre nicht in Angst und Schrecken versetzt worden.

Tomas wird sich wegen des Überfalls Ende diesen Monats erneut vor Gericht verantworten müssen und ich habe auch diesmal seine Verteidigung übernommen. Als der Haftrichter ihn nach der Festnahme, vor Verbringung in die Untersuchungshaft, fragte, welcher Anwalt seine Verteidigung übernehmen solle, hatte er zunächst verlegen gezögert meinen Namen zu nennen. Wie er mir dann in der JVA sagte, habe er sich vor mir geschämt, nach nur wenigen Stunden der Freiheit, wiederfestgenommen worden zu sein. Keiner seiner Verwandten, auch nicht Greta, hatten genügend Geld, um ihm über „Western Union“ das Ticket für die Busreise nach Litauen zu bezahlen. Frustriert habe er am Hauptbahnhof gesessen, wo ein paar abgerissene Gestalten ihn an der kreisenden Wodkaflasche teilhaben ließen. In angetrunkenem Zustand kam er dann spontan auf die Idee, jemanden an einem abgelegenen Bankautomaten um sein Geld zu erleichtern und sich hiervon ein Busticket in die Heimat zu kaufen.

Viele Leser werden nun sagen, dass Tomas kein Mitleid verdient hat, was man angesichts des Überfalls auf einen Rentner auch nachvollziehen kann. Ich, als Strafverteidiger sehe allerdings auch, dass Vieles für ihn spricht: So sagte der Rentner bei der Polizei aus, Tomas habe ihm noch geholfen seine Brille zu suchen, die bei dem Gerangel zu Boden gefallen sei. Es tue ihm leid, habe er in gebrochenem Deutsch gestammelt. Das sind nicht die üblichen Zutaten eines klassischen Raubes! Wie lange Tomas nun ins Gefängnis muss, wird dieselbe Richterin entscheiden, die ihn wenige Stunden vor der Tat zu einer Geldstrafe verurteilt hat und aus der Untersuchungshaft entließ. Sie wird Zeit von seiner „Lebensuhr“ nehmen müssen, denn die Mindeststrafe für einen Raub beträgt 1 Jahr Gefängnis. Trüben Sinnes hat Tomas in der Haft ein Bild gefertigt und mir geschenkt. Gezeichnet, mit einem Billigkugelschreiber auf einem herausgerissenen Blatt eines Schreibblocks, zeigt es, wie er seine Situation empfindet: Eben als Verlust von Lebenszeit. Ich werde ihn, so gut es mir erlaubt ist verteidigen, damit er Greta und sein Kind, das dann kein Baby mehr sein wird, baldmöglichst wiedersehen kann. Robert Kovac werde ich im Gericht die Hand geben und ihm zur Auszeichnung gratulieren! Ich finde, er hat sie verdient. Jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten!