Kein Schweigen im Walde

von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der HS-WOCHE, DN-WOCHE und JÜLICHER WOCHE KW 41/2018

Wer eine Autobahn mit seinem Wagen verlässt und einen anderen Weg über Land sucht, kennt das Gefühl, wie Zeitfluss und Räume sich zu verändern scheinen. Mit der Entschleunigung werden Wahrnehmungen möglich, die das Tempo einer Autobahnfahrt unwiederbringlich verschluckt. Woran sonst mag es gelegen haben, dass ich einen besonderen Zynismus, auf der zwischen Kerpen und Merzenich neu gebauten A4, erst jetzt als solchen erkannt habe?
Als gestalterische Maßnahme ist entlang einer langen Geraden an der neuen Autobahn eine „Allee Baum des Jahres“ eingerichtet worden. Dort sind die „Bäume des Jahres“ von 1985 bis 2014 mit entsprechenden Hinweistafeln gepflanzt worden. Fast 300 Bäume nach meiner Zählung! Ungezählt aber sind jene, die bislang zum Verstromungszweck gerodet wurden. Für einen Tagebau, der die fast schon vollständige Vernichtung des Hambacher Waldes und den Neubau der A4 mit den „Bäumen des Jahres“ erst erforderlich machte. Vielen Menschen mag solcherlei Heuchelei bereits vor mir übel aufgestoßen sein. Überspitzt gesagt, es wäre ehrlicher gewesen, die Bilanzüberschüsse der RWE für die Jahre 1985 bis 2014 auszuschildern: auf einem „Highway der Gewinne“. Man musste die Subversion nicht in Herz und Hirn tragen, um in diesen Tagen den Rubikon vom ohnmächtigen Kopfschüttler zum Demonstranten zu queren. Die sensationelle Entscheidung des OVG Münster, die Rodung des Hambacher Forstes einstweilen zu verbieten, mag auch mit dem Stimmungsbild innerhalb der Bevölkerung zu tun haben. Richter sind eben auch nur Menschen! Demonstrationen und Protestaktionen können auch Einfluss auf die richterliche Auslotung von Ermessensspielräumen haben. Wo bei solchen Protestaktionen die Grenze zur Strafbarkeit überschritten wird ist nicht immer ganz einfach zu entscheiden. Eine Sitzblockade kann straflos sein, so hat es das Bundesverfassungsgericht entschieden (1 BvR 388/05). Dies gilt aber nicht für diejenigen, die sich Festketten oder einbetonieren und damit eine einfache Hindernisbeseitigung, wie durch wegtragen verhindern. Aber auch sonst zeigt sich das Strafrecht, was die Beurteilung von Sitzblockaden angeht, wenig kalkulierbar. Wer einen Polizeikonvoi durch Sitzen auf dem Zufahrtsweg zum Anhalten zwingt, soll sich das erste abbremsende Fahrzeug zum (mittelbaren) Werkzeug machen und damit die nachfolgenden durch Gewalt zum Abbremsen nötigen. Das ist Nötigung gemäß § 240 StGB. Keine Nötigung soll derjenige begangen haben, der ein einzelnes Fahrzeug oder einen Zug mit Kastorbehältern mittels Sitzblockade zum Abstoppen zwingt. Hambach ist ein komplexes Thema. In vielerlei Hinsicht.