„Justitia“ und die Wundertüte

von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der HS-WOCHE, DN-WOCHE und JÜLICHER WOCHE KW 44/2018

Wer sich in Deutschland als Angeklagter vor Gericht zu verantworten hat, der braucht auch etwas Fortune. Ob jemand in den Knast muss oder Bewährung bekommt, hängt nicht selten auch von dem Gerichtsbezirk und den Richtern ab, bei denen ein Fall verhandelt wird. Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts hat ergeben, dass in NRW die strengsten Richter in Essen sitzen, auf Deutschland bezogen, beim Landgericht München.
In deutschen Gerichten sind mir schon viele bemerkenswerte Richterpersönlichkeiten begegnet.
Da war zum Beispiel „Hammer Helga“, die ihre Strafkammer als Vorsitzende ebenso eisern im Griff hatte, wie die fiesen Schurken, die sich als Angeklagte vor ihr zu verantworten hatten. Wenn „Hammer Helga“ mit dröhnender Stimme die Sitzung eröffnete, war spätestens klar, wer hier im Saal das Sagen hat. Dabei bekamen durchaus auch die Anwälte ihr Fett weg, wenn sie schlecht vorbereitet waren oder aus anderem Grund Unsinn redeten. Unvergessen ist die Gerichtsverhandlung, in der ein sonst hartgesottener Strafverteidiger um ein Haar in die Hose gemacht hätte, weil er sich nicht traute „Hammer Helga“ um eine Toilettenpause zu bitten. Ein anderer Typ Richter war „Papa Gnädig“, der als Hardliner seine Richterlaufbahn begann und mit den Jahren immer milder wurde, sodass die Ganoven in den Knästen Stoßgebete gen Himmel schickten, ihr Fall möge bei „Papa Gnädig“ verhandelt werden. Mir sagte er einmal: Egal wie lange ich jemanden wegsperren lasse, ein besserer Mensch wird er deshalb nicht. Eher wird es noch schlimmer.“ Womit der Mann recht hatte!
So manchen „Strauß“ habe ich auch mit dem „Lachenden Fallbeil“ ausgefochten. Da war der Spitzname Programm, denn er wurde so genannt, weil er die gesamte Beweisaufnahme lang stets verständnisvoll lächelte und in respektvollem und menschlich warmem Ton durch die Verhandlung führte. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen und selbst der härteste Verteidiger brachte ihm nicht um die Fassung. Er beschwichtigte, besänftigte und lächelte. Viele Angeklagte und Anwälte, die ihn nicht kannten, wähnten sich aufgrund des harmonisch netten Verhandlungsverlaufs – vor der Urteilsverkündung – bereits am Ziel. Ein Freispruch schien greifbar nahe! Bis das „lachende Fallbeil“ freundlich sein Urteil verkündete. Einen Freispruch gab es selten, vielmehr war die Strafe zumeist knackig hart, bis an die Grenze dessen, was der Strafrahmen nach oben hin zuließ. Danach lächelte im Sitzungssaal nur noch einer: das „lachende Fallbeil“.
Angesichts solcher „Artenvielfalt“ meinen viele Juristen, ein Computerprogramm mit einem schicken Algorithmus biete am ehesten Gewähr für eine einheitliche und gerechte Strafzumessung. „Justitia“ scheint in die Jahre gekommen zu sein.