Anmerkung zu OLG Koblenz, Beschl. v. 28.09.2005 (Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG)

von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in Strafverteidiger 2006, 588 f.

BtMG § 35 (Zurückstellung der Strafvollstreckung)
Im Rahmen des Vorgehens nach §§ 35, 36 BtMG soll gerade Risikopatienten eine Therapiechance eröffnet werden. Ein Versagungsgrund kann nur dann gegeben sein, wenn konkrete Zweifel an einem ernsthaften Therapiewillen bestehen. Drogenkonsum, bzw. dessen Versuch vor Antritt einer Therapie lässt den Schluss auf einen fehlenden Therapiewillen nicht zu, da dieses Verhalten gerade wesentlicher Bestandteil einer noch nicht therapierten Sucht ist.

OLG Koblenz, Beschl. v. 28.09.2005 – 2 VAs 9/05
Aus den Gründen: Die 1. Gr. StrK des LG Trier hat den Ast. gemeinsam mit seinem Bruder A. B. durch Urt. V. 17.02.2004 (u.a.) wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 J. 9 M. verurteilt, die derzeit in der JVA Wittlich vollstreckt wird. Zwei Drittel der Gesamtfreiheitsstrafe werden am 23.11.2005 verbüßt sein, das Strafzeitende ist auf den 23.02.2007 notiert.
Durch Schreiben v. 08.02.2005 hat der Verfahrensbevollmächtigte für den Verurteilten einen Antrag auf Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG gestellt und eine Kostenübernahmezusage der LVA Rheinland-Pfalz v. 18.01.2005 vorgelegt. Nachdem der Verurteilte sein Einverständnis zur Maßnahme nach § 35 BtMG erklärt hat, stimmt die 1. Gr. StrK des LG Trier durch Beschl. v. 28.03.2005 der Zurückstellung gem. § 35 BtMG zu.
Mit Schreiben v. 28.04.2005 legte der Verurteilte eine Therapieplatzzusage der Fachklinik D. in K. v. 19.04.2005 vor, in der als Therapiebeginn der 23.05.2005 notiert war. Die StA Trier hat anschließend durch Bescheid v. 04.05.2005 die Vollstreckung des noch zu verbüßenden Strafrestes auf die Dauer der Kostenzusage und der Therapie, längstens aber von einem Jahr, zurückgestellt.
Mit Schreiben v. 03.05.2005 hat die JVA in Wittlich der StA Trier mitgeteilt, dass gegen den Verurteilten ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, weil er versucht hatte, die angeordnete Paketkontrolle zu umgehen. Hierbei wurde ein Brief des Verurteilten an einen V. sichergestellt, der in russischer Sprache verfasst war und dessen Inhalt in der Übersetzung wie folgt lautet:
„Hallo V., ich werde nicht viel schreiben, ich begrenze mich auf wenige Zeilen. Eugen geht zur Therapie und nimmt diesen Brief mit für Dich. Ich wollte Dich heute anrufen, aber die neue TK-Karte war defekt. Deswegen schreibe ich dir noch schnell diesen Brief mit einer Bitte. Zuerst teile ich dir mit, dass mein Aufnahmetermin am 12.07.2005 ist. Ich gehe in die Ludwigsmühle, das ist nicht mehr lange hin. Vorgestern ist Theo zu uns gekommen, mein ehemaliger Zellenkollege. Seine Bewährung wurde widerrufen.
V. – jetzt die Hauptsache, – ich möchte dich bitten, dass bei dir alles klargeht, andere Möglichkeiten gibt’s nicht, – und ich möchte deswegen nicht mehr fragen müssen. Für den 07.05.2005 habe ich mich mit einem Deutschen verabredet, – er wird nur für mich – entgegennehmen. Ich brauche eine – ACHT – (8 Stück?). Ich werde dir sagen wozu, wenn ich Dich anrufe.
Der deutsche wird um 11:00 bei Edeka warten, draußen bei den Einkaufswagen. Er ist dick, nicht groß und trägt eine Brille. Die Schwester von der „Schlange“ sollte nächste Woche zu Besuch kommen, vielleicht ruft sie dich nach dem Besuch an, wenn irgendwelche Veränderungen eingetreten sind. Mein Bruder ist noch nicht weg, und ich weiß auch noch nicht, wann er geht. Damit schließe ich und umarme dich fest. E.“
Zwischenzeitlich hat die StA zudem bemerkt, dass der ursprüngliche zustimmende Bescheid v. 04.05.2005 insoweit fehlerhaft war, als versehentlich die Therapiedaten des Bruders des Verurteilten, A. B., der ebenfalls eine Drogentherapie antreten sollte, aufgenommen worden waren. Da hat die StA Trier unter dem 17.05.2005 den ursprünglichen Bescheid v. 04.05.2005 im Hinblick auf die fehlerhaften Therapiedaten aufgehoben und zudem den Antrag auf Zurückstellung der Vollstreckung nach § 34 BtMG nunmehr zurückgewiesen. Im Hinblick auf die Zurückweisung dieses Antrages stützt sich die StA Trier im Wesentlichen auf den Inhalt des vorgenannten Briefes, dessen Urheberschaft sowie die Tatsache, dass er ihn an der Postkontrolle vorbeischmuggeln wollte, der Verurteilte eingeräumt hat.
Aus diesem Brief ergebe sich, dass der Verurteilte ein Drogengeschäft abwickeln wollte und insoweit dessen Therapiebereitschaft lediglich vorgetäuscht zu sein scheine. Die Therapiebereitschaft habe ihm offensichtlich nur als Mittel gedient, aus dem Vollzug der Haft entlassen zu werden, um in Freiheit erneut Rauschgiftgeschäfte abzuwickeln.
Ergänzend hat die StA Trier durch Schreiben v. 09.06.2005 an den Verfahrensbevollmächtigten des Verurteilten ausgeführt, dass die Versagung der Zurückstellung der Vollstreckung auch deshalb erfolgt sei, da der beanstandete Brief darauf hindeutete, dass sich der Verurteilte für den Fall seiner Haftentlassung Rauschmittel besorgen wollte, und dem Verurteilten im Falle des Therapieantritts unter Drogeneinfluss die Aufnahme in die Therapie verweigert worden wäre.
Gegen diese Verweigerung der Zurückstellung stellte der Verurteilte durch seinen Verfahrensbevollmächtigten durch Schreiben v. 28.06.2005 einen „Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG“, den die GStA als Vorschaltbeschwerde gem. § 24 Abs. 2 EGGVG gewertet und unter Verweis auf die Begründung der StA Trier abschlägig beschieden hat.
Hiergegen hat der Verurteilte durch seinen Verfahrensbevollmächtigten am 03.08.2005 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG mit dem Ziel gestellt, die StA Trier zum Erlass der Zurückstellung gem. § 35 BtMG in oben genannter Sache zu verpflichten.
Der statthafte und zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Zwar unterliegt die staatsanwaltschaftliche Ermessensentscheidung hinsichtlich der Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 Abs. 1 BtMG nur einer begrenzten Nachprüfungsmöglichkeit, so dass das Rechtsmittel nur aussichtsreich und begründet ist, wenn die Vollstreckungsbehörde und die GStA bei ihren Entscheidungen von einem unzutreffenden oder unzureichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen sind, wenn Begriffe und gesetzliche Bestimmungen falsch angewendet wurden oder bei Ermessensüberschreitung oder Ermessensmissbrauch (Körner, BtMG, 5. A., § 35 Rdnr. 216 m. w.N.).
Ausgangspunkt der Frage, ob die Zurückstellung gem. § 35 Abs. 1 BtMG zu gewähren ist, ist der Grundsatz Therapie statt Strafe. Der Zweck der gesetzlichen Regelung liegt darin, im Interesse der Rehabilitation kleine bis mittlere drogenabhängige Straftäter zu einer notwendigen therapeutischen Behandlung zu motivieren. Der Weg der Zurückstellung der Strafvollstreckung stellte eine vorläufige Herausnahme des Verurteilten aus der Strafvollstreckung dar, die auch und gerade in Betracht kommt, wenn dem Verurteilten keine günstige Prognose gestellt werden kann (Senatsbeschl. v. 14.02.2002 – 2 VAs 6/02 -; OLG Zweibrücken StV 2000, 157, 158).
Insoweit hat seitens der StA eine Motivationsprüfung nicht stattzufinden (Körner, a. a. O., Rdnr. 121 m. w. N.). Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass § 35 BtMG nicht nur Musterpatienten, sondern auch Risikopatienten eine Therapiechance eröffnet. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung setzt daher zum Beispiel kein besonderes Durchhaltevermögen oder eine günstige Zukunftsprognose voraus. Vielmehr soll gerade in Fällen schlechter Prognose drogenabhängigen Verurteilten die Möglichkeit eröffnet werden, im Wege der Drogentherapie ihre Suchtprobleme aufzuarbeiten.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Weg aus der Drogensucht regelmäßig mit mehreren gescheiterten Therapieversuchen, strafrechtlichen Rückfällen oder Fehlverhalten im Strafvollzug verbunden sein kann (OLG Koblenz, a. a. O.; OLG Frankfurt, StV 2003, 289; OLG Hamburg, StV 1998, 390, 391).
Ein Versagungsgrund kann jedoch dann gegeben sein, wenn konkrete Zweifel an einem ernsthaften Therapiewillen bestehen.
Zur Feststellung dieses Therapiewillens ist es jedoch lediglich erforderlich, dass der Verurteilte Bereitschaft zeigen muss zum Antritt und Durchstehen einer Therapie. Daher liegen Anhaltspunkte oder Beweismittel für das Fehlen eines ernsthaften Therapiewillens bei Vorliegen einer Therapiezusage nur in Ausnahmefällen vor (Körner, NStZ 1998, 232; Körner BtMG, a. a. O., Rdnr. 123, 124).
Dies kann dann gegeben sein, wenn die Therapiebereitschaft lediglich vorgetäuscht wird, um die Fahrt zur Drogentherapieeinrichtung zur Flucht zu nutzen oder jegliche Unterordnung oder Mitarbeit im Hinblick auf die Therapievorbereitungen abgelehnt wird. Dies gilt auch, wenn sich der Verurteilte an keinerlei Regeln hält, d. h. in seinem Gesamtverhalten dokumentiert, dass er nicht den ernsthaften Willen besitzt, im Rahmen einer Therapie seine Sucht zu heilen (Körner, BtMG, a. a. O.).
Soweit die StA die Versagung der Zurückstellung der gem. § 35 BtMG auf den Inhalt des bei dem Verurteilten gefundenen Briefes abstellt, kann dies keinen Bestand haben. Zwar ist der StA zuzugeben, dass der Inhalt des beanstandeten Briefes Anhaltspunkte dafür enthält, dass der Verurteilte versucht hat, sich oder gegebenenfalls Dritten Btm zu verschaffen.
Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass sowohl die Menge als auch die Art der Drogen völlig offen bleibt.
Diese Feststellungen können für sich genommen aufgrund der vorgenannten Darlegungen nicht ausreichen, auf einen fehlenden Therapiewillen bei dem Angeklagten zu schließen.
Der Brief lässt gerade nicht, wie der StA im ergänzenden Schreiben v. 09.06.2005 an den Verfahrensbevollmächtigten des Verurteilten dargelegt, vermuten, dass der Verurteilte sich für die Zeit seiner Freilassung, d. h. zum Therapieantritt Btm verschaffen will. Dagegen spricht insbesondere die Tatsache, dass das vermutete Drogengeschäft am 04.05.2005 erfolgen sollte, der Therapiebeginn jedoch für den 12.07.2005 vorgesehen war.
Gerade dieser Zeitraum spricht gegen eine Vorbereitung eines Drogengeschäftes für die Zeit der Freilassung.
Vielmehr spricht der Inhalt des Briefes dafür, dass sich der Verurteilte noch für die Zeit der Inhaftierung Drogen verschaffen wollte.
Der weitere Drogenkonsum, bzw. dessen Versuch vor Antritt einer Therapie ist jedoch nach den vorgenannten Grundsätzen nicht geeignet, eine Zurückstellung gem. § 35 BtMG zu verweigern, da dieses Verhalten ja gerade wesentlicher Bestandteil einer noch nicht therapierten Sucht ist.
Unabhängig davon hat die StA Trier, wie auch die GStA Koblenz den Inhalt des sichergestellten Briefes nur unvollständig wiedergegeben und interpretiert.
Es wird insoweit lediglich auf die auf ein Drogengeschäft bedeutende Passage des Briefes Bezug genommen.
Völlig außer Acht gelassen wird jedoch eine weitere wesentliche Textpassage, in der der Verurteilte dem Adressanten nämlich mitteilt, dass er am 12.07.2005 zur Therapie in die Ludwigsmühle gehe.
Diese Passage spricht sehr wohl dafür, dass der Verurteilte zu diesem Zeitpunkt bereit und willig ist, die beantragte und zugesagte Therapie auch anzutreten.
Da er davon ausgehen musste, dass der Brief erfolgreich an der Postkontrolle vorbeigeschmuggelt werden kann, hätte er bei einer gegenteiligen Absicht dies zweifelsohne dem Adressanten mitteilen können.
Da sich somit aus dem gesamten Inhalt des sichergestellten Briefes höchstens der Verdacht des Versuchs ergibt, sich Btm für die Zeit der Inhaftierung zu verschaffen, andererseits aber auch die Bereitschaft zum Antritt der Therapie dokumentiert worden ist, kann dieser Brief nach Auffassung des Senats nicht herangezogen werden, um ernsthafte Zweifel an der Therapiewilligkeit des Verurteilten zu begründen.
Vor diesem Hintergrund konnte der Bescheid der GStA Koblenz v. 27.07.2005 sowie der Bescheid der StA Trier v. 17.05.2005, soweit er die Zurückstellung der Vollstreckung versagt hat, keinen Bestand haben…
Anmerkung: es soll beinahe ein Glaubenskrieg gewesen sein, als der Bundestag Ende der siebziger, Anfang der achtziger äußerst kontrovers diskutierte, ob der drogenabhängige kleine und mittlere Straftäter Therapie statt Strafe erfahren solle.[1] Im Zuge heftiger Debatten wurde der Gesetzentwurf mehrfach geändert. Die zunächst von der Regierungskoalition ins Auge gefasste Variante, Therapie grundsätzlich an die Stelle von Strafe zu stellen,[2] war nicht durchsetzbar, so dass es letztlich zu einer Strafe und Therapie verbindenden Kompromisslösung kam, dem § 35BtMG in seiner heutigen Fassung.[3]
Diese Zerrissenheit spiegelt sich bis heute in der Gesetzeshandhabung bei Anträgen auf Zurückstellung gemäß § 35 BtMG wieder. Es sind persönliche Wertvorstellungen, die (justiz)politische Grundeinstellung, Sympathie, Antipathie und einiges mehr, was häufig den Ausschlag gibt, ob bestimmten „Problemkandidaten“ die Strafvollstreckungszurückstellung zugunsten einer Therapie gewährt wird oder nicht. Wo viele der zur Entscheidung berufenen StA und Richter bei Vorliegen der übrigen formalen Voraussetzungen (Zusammenhang zwischen Tat und Sucht und der jew. zur Vollstreckung anstehende Strafrest übersteigt zwei Jahre nicht) nach Organisation einer aufnahmebereiten Suchthilfeeinrichtung regelmäßig kurzfristig im Sinne der Antragstellung entscheiden, üben sich andere dieser Entscheidungsträger in zeitaufwendiger Recherche nach der Therapiemotivation des Ast.[4] Angesichts dieser Unterschiede in der praktischen Handhabung der Vollstreckungsrückstellung offenbart sich der Wert der jüngsten Entscheidung des OLG Koblenz zu dieser Thematik unmittelbar.
Unbestritten hat die Vollstreckungsbehörde bei der Beurteilung der Frage, ob die Strafvollstreckung zurückgestellt werden soll oder nicht, einen Ermessensspielraum.[5] Die Ausführungen des OLG Koblenz, wonach als Kriterium bei der Ermessensausübung vorrangig der Gesetzeszweck zu beachten ist, d. h. im Interesse der Rehabilitation kleinere bis mittlere Straftäter zu einer notwendigen therapeutischen Behandlung zu motivieren sind, sind richtig und begrüßenswert, aber nicht wirklich neu.[6] Sie definieren (und begrenzen) jedoch abermals den Ermessensspielraum der Entscheidungsträger mit einer Nachdrücklichkeit, die zur Hoffnung berechtigt, dass zeitraubende Nachforschungen zur Therapiemotivation des Ast. zukünftig nur noch in absoluten Ausnahmefällen stattfinden. Ein Versagungsgrund kann nur dann gegeben sein, wenn konkrete Zweifel an einem ernsthaften Therapiewillen bestehen. Da es sich bei Therapiebereitschaft bzw. Therapiewillen um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, mit der Folge, dass der Vollstreckungsbehörde bei der Feststellung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist,[7] entwickelte sich mit den Jahren eine recht dünne Kasuistik. So soll es am Therapiewillen fehlen, wenn der Verurteilte vor seinem Zurückstellungsantrag alle Möglichkeiten der Haftentlassung genutzt hat, ohne sich im Strafvollzug in adäquater Weise um die Organisation einer Therapie zu kümmern.[8] Ebenso sei die (fehlende) Therapiemotivation zu beurteilen, wenn der Ast. sich in der Haft massiv Regel verletzend verhalte, jede Arbeit verweigere und hinzukommend Drogen konsumiere oder verkaufe.[9] Gerade die Problematik eines Drogenkonsums in der Haft führt in der Praxis häufig zur Versagung der Vollstreckungszurückstellung und lag auch der Entscheidung des OLG Koblenz zugrunde. Die in diesem Zusammenhang ergangenen Leitsätze sind die Elemente, die den Beschluss als innovativ und rechtsfortbildend konturieren. Drogenkonsum in der Haft, bzw. dessen Versuch vor Antritt einer Therapie sei nicht geeignet, eine Zurückstellung gemäß § 35 BtMG zu verweigern, da dieses Verhalten ja gerade wesentlicher Bestandteil einer noch nicht therapierten Sucht sei. Das klingt nicht nur logisch, sondern entspricht auch der gesetzgeberischen Intention. Die Praxis hat lange gebraucht um eine Entscheidung diesen Formats hervorzubringen. Dennoch sollte die Zufriedenheit überwiegen, dass mit der Entscheidung des OLG Koblenz nun ein Maßstab an die Hand gegeben wurde, der über die bislang bekannten Entscheidungen hinausgeht und weiter ermessensbegrenzend wirkt. Für die nicht geringe Anzahl verurteilter Drogenabhängiger, denen das Unvermögen, unter Haftbedingungen drogenabstinent zu leben, bislang eine Therapiechance aus der Haft heraus zunichtemacht, wird sich ein Schlagbaum öffnen.
Festzuhalten bleibt in der Konsequenz eine weitere Ermessensreduzierung der Entscheidungsträger bei der Zurückstellungsentscheidung. Da die Versagung der Therapie hiernach nur noch in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein wird, stellt sich zwingend die Frage nach der Sinnhaftigkeit der im Abs. 1 des § 35 BtMG vorgeschriebenen Zweistufigkeit des Zurückstellungsverfahrens. Dieser liegt der Gedanke zugrunde, dass das Gericht des ersten Rechtszuges am besten mit dem Fall vertraut ist und daher am ehesten in der Lage sei, Voraussetzung und Prognose einer Zurückstellung abzuschätzen.[10] Was zunächst logisch klingt, vermag unter Zugrundelegung der Rechtswirklichkeit jedoch nicht mehr zu überzeugen. Richter und StA, nicht zuletzt aber die Ast., beklagen zu Recht immer wieder die Länge der Bearbeitungsdauer. Häufig dauert es vom Tag der Antragstellung Monate bis zu einer Entscheidung, da oft gerade die Richter der Gerichte erster Instanz mit den von ihnen zu bewältigenden Pensen heillos überfordert sind. Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch das Argument, der Tatrichter sei am vertrautesten mit der Sache und könne die Therapiemotivation des Ast. am besten bewerten. Da meist Monate, häufig sogar Jahre zwischen dem Urteil und dem Zurückstellungsantrag vergehen, sei es, weil der Strafrest noch bis zur Zweijahresgrenze herunterverbüßt werden muss, sei es, weil zunächst keine Therapie oder kein Kostenträger gefunden wird, dürfen viele Richter eine verblasste oder gar keine eigene Erinnerung mehr an den speziellen, vielen anderen oft ähnlich gelagerten, Fall haben.
Darüber hinaus wird dem, durch die obergerichtliche Rechtsprechung der letzten 20 J. zunehmend kleiner werdenden Ermessensspielraum, mit der Konsequenz nur ausnahmsweise Möglichkeit der Ablehnung des Zurückstellungsantrages, am ehesten in der Weise Rechnung getragen, dass mit Beschränkung des Ermessens die Zahl der damit Befassten reduziert, sprich halbiert wird. Bei nachhaltig begründbaren Zweifeln an der Therapiewilligkeit müsste in Ausnahmefällen auch der StA der Vollstreckungsabteilung einen persönlichen Eindruck des Verurteilten im Rahmen einer Anhörung bekommen können. Die oft deshalb gefährliche, weil nur personellen, mithin pekuniären Interessen folgende, Diskussion einer Verschlankung der Justiz, hätte hier ausnahmsweise eine Berechtigung. Erstrangig nicht aufgrund fiskalischer Interessen, sondern wegen derer, die in der ganz überwiegenden Mehrheit nur aufgrund ihrer Drogenkrankheit in die Kriminalität abrutschen und nichts lieber als das möchten, was der Volksmund gemeinhin ein bürgerliches Leben nennt.

[1] Körner, BtMG, 5 A., § 35 Rdnr. 17, 18.
[2] BT-Drucks. 9/27
[3] Winkler, Sucht und Delinquenz, 125 ff.
[4] So wird in Rheinland-Pfalz von manchen Richtern und Staatsanwälten gar ein Votum der JVA, zur Frage, ob eine ausreichende Therapiemotivation des Ast. gegeben ist oder nicht, eingeholt.
[5] OLG Karlsruhe, MDR 1983, 514.
[6] So auch bereits u. a. OLG Karlsruhe, a. a. O.; OLG Hamburg StV 1998, 390, 391; OLG Zweibrücken StV 2000, 157, 158; OLG Koblenz StV 2003, 288, 289.
[7] Körner, Die Zurückstellung der Strafvollstreckung, NStZ 1998, 232.
[8] Körner, a.a.O., 232 ff.
[9] Körner, a.a.O., 232 ff.
[10] Jochamski/Haumer, BtMG, 7. A.,S. 35 Rdnr.15.