Der „polizeiliche Prozessbeobachter“ in Umfangverfahren – Rechtsöffentlichkeit im Sinne von § 169 GVG?

von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in Strafverteidiger 2005, Heft 12, 692-694.

1. Problematik
Den meisten Strafverteidigern dürften sie in sogenannten Umfangverfahren, d. h. jenen Prozessen, die sich aufgrund des umfangreichen Prozessstoffes über eine Vielzahl von Verhandlungstagen erstrecken und manchmal Monate bis Jahre dauern, regelmäßig auffallen. Mal verstohlen Notizen machend, oft aber nur mit unbewegter Miene den Prozess verfolgend, gehören sie mittlerweile zum Prozessalltag wie die Berichterstatter der lokalen Presse. Die Rede ist von Polizeibeamten, die – dienstlich veranlasst – im Zuschauerraum manche Stunde oder auch Tage damit verbringen, bestimmte Strafprozesse zu verfolgen.
Der Argwohn mancher Verteidiger gegenüber dieser Art der „Prozessbeobachtung“ scheint nicht unbegründet. Angesichts leerer öffentlicher Kassen, des wohl berechtigten Lamentos von Vertretern der Polizei und ihrer Gewerkschaft über Personalknappheit und sich hierdurch auftürmender „Überstundenberge“,[1] darf wohl davon ausgegangen werden, dass dem Interesse der Ermittlungsbehörde an der jeweiligen Prozessbeobachtung ein beachtliches Gewicht beizumessen ist. Kaum einem polizeilichen Dienstvorgesetzten käme es in den Sinn Mitarbeiter für geraume Zeit zu einem solchen Dienst abzustellen, wenn der praktische Nutzen nicht das Sonderopfer rechtfertigen würde.
Die Überlegungen nach der Art dieses praktischen Nutzens werden auch schon deshalb von der Fantasie beflügelt, weil über Motivation und Zielsetzung beim Einsatz eines „polizeilichen Prozessbeobachters“ meist so gut wie nichts nach außen dringt. Die Strafverteidiger, die bereits einmal versucht haben Rolle und Aufgabe der „polizeilichen Prozessbeobachter“ eines Umfangverfahrens klären zu lassen, wissen vermutlich was gemeint ist. Sofern das Gericht jeden Diskussionsansatz über die Rolle der „Prozessbeobachter“ nicht bereits im Ansatz mit dem Hinweis, es handele sich um zulässige Öffentlichkeit, im Keim zu ersticken versucht, stößt der Verteidiger bei der Hinterfragung der Maßnahme auf Widerstände, die erst recht Anlass zu Neugier und Argwohn bieten. In den meisten hier erlebten Fällen, in denen polizeiliche Prozessbeobachter oder aber die Dienstvorgesetzten, die diese Prozessbeobachtung angeordnet hatten, sich aufgrund des Insistierens der Verteidigung zu Sinn und Zweck der Maßnahme zu äußern hatten, wurde versucht die Beantwortung der gestellten Fragen mit Hinweis auf „beschränkte Aussagengenehmigungen“ zu vermeiden. Es handele sich um „polizeitaktische Maßnahmen“, deren Offenlegung eine „Gefährdung von Landesinteressen“ darstelle. So oder ähnlich lautete zumeist die Begründung für die Erteilung einer beschränkten Aussagegenehmigung.[2] Angesichts der Tatsache, dass die Beobachtung eines öffentlichen Prozesses Gewinnung geheimer und damit schutzbedürftiger Informationen führen kann, erscheint diese Begründung wenig nachvollziehbar. Landesinteressen sollen also, die Rechtfertigung der Aussagebeschränkung teleologisch interpretiert, dadurch gefährdet sein, dass die Polizei preisgibt, wie die in der öffentlichen Verhandlung gewonnenen Informationen intern verwendet und verarbeitet werden. Hier regt sich der Verdacht, dass die wahre Motivation für einen solchen Polizeieinsatz nicht offengelegt werden soll. Möglicherweise aus Gründen, die zurückführen auf berechtigte Bedenken, die sich bei scharfer Betrachtung bei, von einer bestimmten Intention getragenen Prozessbeobachtung, durch die Polizei aufdrängen könnten. Dass solche Bedenken nicht lediglich nur theoretisch darstellbar sind, sondern als konkret erlebte Aushöhlung von Strafprozessnormen durch „polizeiliche Prozessbeobachtung“ substantierbar sind, macht das nachfolgende Beispiel aus einem vor dem Landgericht Trier verhandelten Umfangverfahren deutlich.

2. Beispielsfall

Dem Hauptermittler KHK S. und seinem Kollegen KHK Z. wurden seitens der Verteidigung zahlreiche Strafprozessverstöße bei den von ihnen durchgeführten Vernehmungen zur Last gelegt. Moniert wurden Verstöße gegen Belehrungspflichten bei Beschuldigtenvernehmungen, Täuschungen i. S. V. § 136 a StPO und diverse andere Mängel der Ermittlungen. Diese Verstöße ergaben sich teilweise bereits aus den Akten. Einige der gerügten Prozessverstöße kamen aber erst in Verteidigungsgesprächen zutage, bzw. wurden von den Angeklagten in Einlassungen in der Hauptverhandlung dargetan. Die Verteidigung reklamierte – vor Vernehmung der Ermittler S. und Z. als Zeugen im Verfahren – hieraus folgend Beweisverwertungsverbote, die das Zusammenbrechen eines Großteils der Anklage zur Folge gehabt hätten. Kommissar S. wurde als erster Polizeibeamter zu den gerügten Ermittlungsmethoden als Zeuge vernommen und gab in seiner Befragung durch die Verteidigung an, dass „Prozessbeobachter“ seiner Dienststelle an den bisherigen Hauptverhandlungstagen den Prozess verfolgt hätten. Auf Fragen der Verteidigung erklärte der Zeuge S., die Entsendung eines „Prozessbeobachters“ sei vorab mit dem Staatsanwalt und dem Vorsitzenden Richter besprochen worden. Aufgrund der Komplexität des Verfahrens habe seine Dienststelle die Entsendung eines „Prozessbeobachters“ für erforderlich gehalten, „um sich vorbereiten“ zu können. Auch er, der Zeuge KHK S., habe vor seine Zeugenvernehmung Informationen über den Verlauf der Hauptverhandlungen durch die polizeilichen „Prozessbeobachter“ erhalten. So sei er auch informiert darüber gewesen, dass Gegenstand seiner Vernehmung als Zeuge, die Problematik der Beweisverwertbarkeit der von ihm getätigten Ermittlungen sein werde. Daraufhin beantragten mehrere Verteidiger, die „polizeilichen Prozessbeobachter“ von der Teilnahme an der Hauptverhandlung auszuschließen, zumindest aber eine Weisung des Vorsitzenden Richters an die hierfür Verantwortlichen der Polizei, dass „Briefing“ noch zu vernehmender Polizeizeugen zu unterlassen. Der Vorsitzende entschied, die Prozessbeobachter seien weder aus dem Saal zu weisen, noch sei auf sie Einfluss zu nehmen, Informationen über den Verlauf der Hauptverhandlung nicht an Polizeizeugen vor deren Vernehmung vor Gericht weiterzugeben.[3] Zur Begründung wurde angeführt, der Prozess sei öffentlich und ein Ausschluss der „polizeilichen Prozessbeobachter“ würde gegen den § 169 GVG enthaltenen Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen. Der Vorsitzende und die nach entsprechendem Antrag gemäß § 238 Abs. 2 StPO zur Entscheidung berufene Kammer änderten diese Haltung auch nicht, als der Zeuge KHK Z. in seiner danach erfolgten Vernehmung angab, auch er sei über Inhalt und Verlauf der bisherigen Hauptverhandlung und die Problematik der Beweisverwertbarkeit aufgrund der „Prozessbeobachtung“ informiert gewesen. Es habe im Vorfeld der Vernehmung auf Grundlage der Prozessinformationen auch eine offizielle Dienstbesprechung gegeben, über deren Inhalt er wegen der Beschränkung der Aussagegenehmigung nichts sagen dürfe. Das Beispiel verdeutlicht die Problematik „polizeilicher Prozessbeobachtung“ anschaulich, da in seltener Klarheit der Informationstransfer von polizeilichen Beobachtern zu Polizeizeugen transparent wurde. Es eignet sich daher in besonderer Weise für die Beurteilung der Problematik, inwieweit solche Öffentlichkeit in den Schutzbereich der Norm des § 169 GVG fällt.

3. Umgehung von § 58 Abs. 1 StPO
Das Vorhandensein eines „Prozessbeobachters“, der Zeugen vor ihrer Vernehmung über den bisherigen Verhandlungsverlauf unterrichtet, stellt eine Umgehung der Vorschrift des § 58 StPO dar. Gem. § 58 Absatz 1StPO sind Zeugen einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen zu vernehmen. Der Zeuge soll seine Aussage ohne Kenntnis dessen machen, was der Angeklagte und andere Beweispersonen bekunden. Die Vorschrift des § 58 Abs.1 bezweckt die Erhaltung der Unbefangenheit des Zeugen.[4] Ein authentisches Beweisergebnis kann nur erzielt werden, wenn der Zeuge wahrheitsgemäß aus seiner Erinnerung heraus und ohne Anlehnung an inhaltliche oder prozessuale Verlaufsformen der Beweisaufnahme aussagt. Zwangsläufig verliert ein Zeuge seine Unbefangenheit, wenn er über den bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung systematisch informiert wird. So wie im Beispielsfall, in dem die Polizeizeugen S. und Z. Die Vorabinformationen erhielten, dass zentrales Thema ihrer Vernehmung als Zeuge zunächst die Fragestellung sein würde, inwieweit ihre Ermittlungen, hier vor allen Dingen eine spezielle Vernehmung, den strafprozessualen Anforderungen genügte.
Gerade die Befragung der mit den Ermittlungen hauptverantwortlich befassten Polizeibeamten durch Verteidiger ist häufig von großer Brisanz. Im Zusammenhang mit einer von ihm zitierten Meinungsbefragung bei Polizeibeamten mit dem Ergebnis, dass ein großer Prozentsatz die Auffassung vertritt, „Rechtsanwälte tragen nicht zur Verwirklichung des Rechts bei, sondern sehen ihre Aufgabe einseitig im Schutz des Rechtsbrechers“ hat Nack die Einstellung vieler Polizeibeamter zur Verteidigerzunft allegorisch zutreffend so dargestellt, dass die Verteidiger als „Bremser am Wagen der Gerechtigkeit“ angesehen würden.[5] Anhand von Beispielen zeigt Nack in diesem Zusammenhang nachvollziehbar auf, dass bei Befragung eines polizeilichen Ermittlers durch den Verteidiger zu dessen Ermittlungsmethoden allergrößte Sorgfalt geboten ist. Allein das Befragungsthema birgt die Gefahr, dass der Polizeibeamte in eine von ihm als bedrohlich für die Berufsehre empfundene Situation gerät und psychologisch begründete Hemmnisse entstehen, Vorwürfe – auch wenn sie nachvollziehbar und berechtigt sind – hinzunehmen und Fehler einzugestehen. Der befragte Polizist wird bei einer forschen, auf Vorwürfe abzielenden Befragung durch die Verteidigung eine unkooperative Position einnehmen und wird oft nicht mehr in der Lage sein, diese zu verlassen. Jeder Vorhalt oder jede Frage des Verteidigers wird als Affront, gegen den er sich zu rechtfertigen hat, interpretiert.[6] Zurückkommend auf den Beispielsfall ist die Gefahr greifbar, dass die Polizeizeugen S. und Z., die aufgrund der systematischen Information durch ihre Kollegen darüber unterrichtet waren, ihre Ermittlungsmethoden würden Fokus der Befragung von Gericht und Verteidigung stehen, eben jene sich objektiver Beantwortung von Fragen verschließende Abwehrhaltung einnehmen würden.
Darüber hinaus erscheint es lebensfremd anzunehmen, die Art und Weise der Ermittlungen, möglicherweise bis in Details, die sich aus der Ermittlungsakte nicht einmal ergeben, seien im Kontext zu den in der Hauptverhandlung ausführlich von der Verteidigung thematisierten Vorwürfen, den zugegebenen polizeilichen Gruppenbesprechungen nicht erörtert worden. Der in der Gruppe rekonstruierte und diskutierte Verlauf von Ermittlungen, respektive Vernehmungen, ist wissenschaftlichen Erkenntnissen folgend, wenig geeignet den Erinnerungswert der Aussagen der betroffenen Polizeibeamten, hier S. und Z., zu den von ihnen getätigten Ermittlungen zu fördern. Es erscheint nachvollziehbar, dass zum einen eine den polizeilichen Interessen entsprechende Erwartungshaltung auf die ermittelnden Polizeibeamten projiziert wird, das von ihnen produzierte Ermittlungsergebnis möge der gerichtlichen Überprüfung auf Einhaltung strafprozessrechtlicher Normen standhalten. Ein anschauliches Beispiel aus der Praxis liefert der großartige Strafverteidiger Heinrich Hannover, dem es in einem Prozess gelang, die schriftlichen Unterlagen, die ein Polizeizeuge bei seiner Vernehmung vor sich liegen hatte, beschlagnahmen zu lassen. Der grüne Hefter enthielt ein mit „Wichtige Hinweise“ überschriebenes Papier des Polizeirats mit Instruktionen für das Verhalten im Zeugenstand: „Lassen Sie sich nicht provozieren! Die Verteidiger werden dies versuchen, um Sie auch dadurch unglaubwürdig zu machen. – Sie sind nicht Angeklagter, auch wenn die Verteidiger versuchen werden, dies zu verdrehen. Sie haben sich nichts vorzuwerfen! Sie haben rechtmäßig gehandelt!“.[7] Sicher kein Einzelfall der vorbeugenden „Impfung“ eines Polizeizeugen. Sicherlich auch geeignet – möglicherweise unterbewusst – das Aussageverhalten des Zeugen zur Durchführung der Ermittlungen zu beeinflussen und die objektive Beantwortung von Fragen zu erschweren. Der Zeuge hat die, gruppendynamischen Faktoren ausgesetzte, „Strafprozessrechtsbewertung“ aus dem Kollegium zu Art und Weise der von Verteidigern beanstandeten Ermittlungen erfahren, und ein dahingehend erzielter Konsens, die Ermittlungen seien beanstandungsfrei, wird Einfluss auf die Art und Weise der Sachverhaltsdarstellung im Rahmen der Zeugenaussage nehmen. Hinzu tritt das Problem, dass eine in der Gruppe aus der Erinnerung mehrerer Beteiligter stattfindende Rekonstruktion des Ablaufs von Wahrnehmungen, Details der Ermittlungen, Belehrungen usw., die Gefahr der Ungenauigkeit birgt. Nack nennt drei Hauptfehlerquellen des sogenannten „group remembering“.

• Die Erinnerung des Einzelnen an bestimmte Details wird überlagert.
• Gruppenvorurteile werden verstärkt.
• Übereinstimmung der Gruppenmitglieder bestimmt die Sicherheit der eigenen Erinnerung.

Ein polizeilicher Zeuge, der in der dargestellten Weise vorinformiert wurde, verliert als Beweismittel unwiederbringlich an Substanz im Sinne von Werthaltigkeit. Dies ist später nicht mehr durch eine entsprechend vorsichtige und die „Prozessbeobachtung“ berücksichtigende Beweiswürdigung aufzufangen. In der retrospektiven Betrachtung wird das Gericht keine tauglichen Schlüsse mehr ziehen können, in welchem Umfang ein Informationstransfer zu den Polizeizeugen vor deren Aussage vor Gericht diese beeinflusst haben kann. Zum einen entzieht sich der Grad des Beeinflusstseins eines Zeugen objektiven Wahrnehmungsmöglichkeiten, da es sich um einen inneren Vorgang handelt. Zum anderen wird, wie dargestellt, meist jede Transparenz fehlen, welche Informationen im Konkreten mitgeteilt wurden.
Die mit dem Ziel des sogenannten „Informationstransfers“ an Polizeizeugen durchgeführte Prozessbeobachtung durch Polizeikräfte unterläuft somit in eindeutiger Weise Sinn und Zweck der Vorschrift des § 58 Abs. 1 StPO und erschwert dem Gericht die Wahrheitsfindung.

4. § 169 GVG – Publizitätsschutz mit Schranken
Nachdem festgestellt werden kann, dass eine „polizeiliche Prozessbeobachtung“, die dem Zwecke dient, später zu vernehmende Polizeizeugen über den bisherigen Verlauf und Inhalt der Beweisaufnahme zu informieren, Strafprozessrecht verletzt und die Wahrheitsfindung erschwert, stellt sich die Frage nach einer Gesetzesgrundlage für den Ausschluss solcher „Prozessbeobachter“ von der Hauptverhandlung. Der Verteidiger wird sich vergegenwärtigen müssen, dass die Abwägung des Gewichtes des Interesses der Öffentlichkeit an der Wahrnehmung der Hauptverhandlung und andererseits des Grades der Beeinträchtigung der Wahrheitsermittlung den Vorsitzenden, respektive das Gericht, vor eine (bedeutungs-)schwere Aufgabe stellt. Der Ausschluss eines polizeilichen Prozessbeobachters birgt für das Gericht die Gefahr, dass Verfahrensbeteiligte den Sachverhalt später revisionsrechtlich zur Überprüfung stellen. Ein vom Revisionsgericht gerügter Verstoß gegen § 338 Nr. 6 StPO würde die mit der Verhandlung eines (Umfang)strafverfahrens einhergehenden Lasten, Kosten und Mühen retrospektiv als sinnlos erscheinen lassen. Im Zweifel erscheint es daher denkbar, dass eher die Gefahr der erschwerten Wahrheitsfindung in Kauf genommen wird, als dem Risiko einer Urteilsaufhebung zu unterliegen. Im Sinne der Schaffung von Rechtsklarheit für alle Verfahrensbeteiligten ist eine intensivere Befassung von Rechtsprechung und Lehre mit der Thematik als bisher wünschenswert.
Bezogen auf den Beispielsfall bietet § 172 Nr. 1, 2. Alt. GVG eine geeignete Ermächtigungsgrundlage, um polizeiliche „Prozessbeobachter“ zumindest für Teile der Verhandlung auszuschließen. Die Vorschrift bestimmt, dass die Öffentlichkeit wegen „Besorgnis der Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ vom Verlauf der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden kann. Die Vorschrift ermöglicht entgegen ihrem genauen Wortlaut jedenfalls nicht nur den Ausschluss der gesamten Öffentlichkeit, sondern auch nur den einzelner Personen.[8] Der vereinzelt vertretenen Auffassung, § 172 GVG sei eine Regelung nur zum Ausschluss der gesamten Öffentlichkeit,[9] fehlt die logische Konsonanz. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit muss bei Vorliegen einer der übrigen Voraussetzungen des § 172 GVG eine personenmäßig begrenzte Öffentlichkeitsbeschränkung – als weniger einschneidende Maßnahme – den Vorzug vor einem umfassenden Personenausschluss erhalten, wenn der erstrebte Zweck auch so erreicht werden kann.
Ein Ausschluss der polizeilichen „Prozessbeobachter“ des Beispielsfall gemäß der 2. Alternative des § 172 Nr. 1 GVG, setzt das Vorliegen einer Gefährdung der „öffentlichen Ordnung“ voraus. Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ ist wertausfüllungsbedürftig, woraus sich die Frage ergibt, ob die Gefährdung der Wahrheitsermittlung zugleich auch eine Gefährdung der „öffentlichen Ordnung“ darstellt. Das früheste hier bekannte, sich hierzu verhaltene Urteil des Reichsgerichts legt diesen Schluss mache, verhält sich hierzu jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit nicht eindeutig.[10] Wie dargestellt, verstößt der hier in Rede stehende systematische „Informationstransfer“ von „Prozessbeobachter“ zu Zeugen gegen den Grundgedanken von § 58 Abs. 1 StPO und erschwert damit die Wahrheitsfindung. Systematische Zeugeninformation durch „Prozessbeobachter“ gefährdet die Ermittlung des wahren Sachverhaltes. Anschaulich lässt sich die Gefährdung „öffentlicher Ordnung“ im Sinne des § 172 GVG so begründen: Ohne Ermittlung des wahren Sachverhaltes kein gerechtes Urteil. Ohne Gerechtigkeit der Rechtsprechung keine öffentliche Ordnung.[11] Zur öffentlichen Ordnung gehört damit die eingeschränkte Möglichkeit der Wahrheitserforschung.[12] Beispielsfall hätten die polizeilichen „Prozessbeobachter“ somit nach § 172 Nr. 1, 2. Alt. GVG durch Gerichtsbeschluss von der Verfolgung der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden können bis die Vernehmung der Polizeizeugen abgeschlossen war.
Als Ermächtigungsgrundlage kommt darüber hinaus die vom Vorsitzenden auszuübende Sitzungspolizei im Sinne der §§ 176, 177 S. 2 GVG in Betracht. Eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen den Ausschlussverfahren nach §§ 171 a ff. GVG und dem der §§ 175 GVG ist problematisch.[13] Die Ausschlussvorschriften des GVG enthalten eine Vielzahl unbestimmter, auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe, was unter anderem zu Lasten einer sicher wünschenswerten Systematik der normierten Ausschlusstatbestände führt. Teilweise ergeben sich Schnittmengen, womit gemeint ist, dass mehrere der Normen einen Öffentlichkeitsausschluss begründen können. Die Tatsache, dass je nachdem welche Normen gewählt wird, entweder der Vorsitzende oder das Gericht für die Anordnung zuständig ist, verdeutlicht das Bedürfnis einer Überarbeitung der Gesetzesgrundlagen mit dem Ziel der Präzisierung.
Nach §§ 176, 177 S. 2 GVG obliegt dem Vorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung, worunter der Zustand zu verstehen ist, der dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten einen störungsfreien Sitzungsablauf im Sinne der Wahrheitsfindung ermöglicht.[14] Als weitgehend passiv den Prozess verfolgender Vertreter einer interessierten Rechtsöffentlichkeit, dessen bloße Anwesenheit geeignet ist, die Selbstkontrolle der aktiven Prozessbeteiligten zu schärfen, ist der Zuschauer wertvoller Bestandteil der Rechtspflege. Im Gegensatz dazu ist der aktiv Informationen an Zeugen weitergebende Zuschauer geeignet, die bei Zeugen gewünschte Unbefangenheit zu beseitigen. Soweit der BGH durch das Mitschreiben von Zuschauern in der Hauptverhandlung eine Störung der Ordnung im Sinne der Vorschrift des § 169 GVG erkennt, wenn die durch konkrete Tatsachen begründete Gefahr besteht, dass Aussagen oder Verhandlungsvorgänge wartenden Zeugen mitgeteilt werden,[15] ist der den Verhandlungsverlauf im Gedächtnis zwecks Zeugenpräparierung abspeichernde polizeiliche „Prozessbeobachter“ natürlich ebenfalls Ordnungsstörer. Entscheidend ist das Vorliegen eines Informationsflusses und nicht der Speicher für das Festhalten dieser Informationen. Eine weniger einschneidende Maßnahme als der Ausschluss von der Beobachtung der Verhandlung kommt ersichtlich nicht in Frage. Ermächtigungsgrundlage für die vom Vorsitzenden zu treffende Entscheidung wäre, da es sich um eine Maßnahme gegenüber an der Verhandlung nicht beteiligten Personen im Sinne von § 177 S. 2 GVG handelt, § 176 GVG.

5. Verteidigerreaktion auf polizeiliche Prozessbeobachtung
Der Verteidiger hat verschiedene Möglichkeiten zu reagieren, wenn er den begründeten Verdacht schöpft, „polizeiliche Prozessbeobachter“ seien im Zuschauerraum anwesend. Meines Erachtens nach hat der Verteidiger den Vorsitzenden beim Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte auf die Möglichkeit eines systematischen Informationstransfers mit seinen Konsequenzen für die Wahrheitsfindung in geeigneter Form hinzuweisen und die Befragung der Beobachter zu der Intention der Prozessbeobachtung erforderlichenfalls zu beantragen. Den Prozessbeobachter als präsenten Zeugen zu benennen um so die Hintergründe seiner Anwesenheit zu erfahren, wie es in der Literatur auch vorgeschlagen wird,[16] halte ich für wenig erfolgsversprechend, da regelmäßig zu wenig Anhaltspunkte gegeben sein dürften, um eine der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 244 StPO genügende Beweistatsache zu formulieren. Da auch eine Prozessbeobachtung der Polizei zu Aus- bzw. Weiterbildungszwecken denkbar ist, wird es unter Umständen an der Darlegungsmöglichkeit zu Anhaltspunkten für die Beweistatsache fehlen.[17] Da der in Rede stehende „Informationstransfer“ als prozesserhebliche Tatsache zu behandeln ist, hat das Gericht ohnehin nicht die Verpflichtung im Strengbeweisverfahren Aufklärung zu leisten, sondern es gelten Grundsätze des Freibeweisverfahrens.[18]
Findet der Verdacht einer systematischen Information noch zu vernehmender Zeugen seine Bestätigung, kann beantragt werden, die „Prozessbeobachter“ von der Beobachtung der Hauptverhandlung auszuschließen, bis die Zeugen entlassen wurden. Da als Ermächtigungsgrundlage § 172 Nr. 1, 2. Alt. GVG greift, sollte der Verteidiger auf einer Entscheidung des Gerichts bestehen. Sofern der Vorsitzende unter Hinweis auf seine sitzungspolizeilichen Kompetenzen alleine entscheidet, kann ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 238 Abs. 2 StPO gestellt werden, da diese Maßnahme der Sitzungspolizei auch eine auf die Sachleitung bezogene Anordnung darstellt.[19] Der in der Literatur vertretenen Ansicht, sitzungspolizeiliche Anordnungen des Vorsitzenden seien nicht gemäß § 238 Abs. 2 StPO zu beanstanden,[20] kann hier nicht gefolgt werden. Das Entfernen eines Prozessstörers zur Vermeidung der Wahrheitsbeeinträchtigung ist nicht nur sitzungspolizeiliche Maßnahme, sondern zuallererst eine Maßnahme der Sachleitung. Fällt beides zusammen, ist die Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO zulässig.[21] Die Ablehnung des beantragten Ausschlusses eines „Prozessbeobachters“ ist mit der Revision anfechtbar, wenn sie die wahrheitsgemäße Ermittlung des Sachverhalts gefährdet.[22] Mit dieser Begründung hat das Bundesverfassungsgericht im Beispielsfall die Annahme einer Verfassungsbeschwerde, gerichtet gegen die Duldung der „Prozessbeobachtung“ durch das Landgericht, mangels Rechtswegerschöpfung abgelehnt.[23]

[1] In einer Pressemitteilung vom 04.10.2004 spricht der Vorsitzende der GdP Konrad Freiberg von einem „Überstundenberg“ von bundesweit 20 Millionen.
[2] Als Rechtsgrundlage wird in der Regel die § 62 Abs. 1 BBG entsprechende Norm des Landespolizeigesetzes, betreffend die ausnahmsweise Versagung („…darf nur versagt werden, wenn…“) eine Ausnahmegenehmigung von Beamten als Zeuge, angeführt. Im unten genannten Beispielsfall § 70 LBG RPf.
[3] Begreift man den beantragten Ausschluss von Prozessbeobachtern als sitzungspolizeiliche Maßnahme i. S. v. § 176 GVG, wäre der Vorsitzende für die Anordnung zuständig. Da als Rechtsgrundlage aber § 172 GVG der Vorrang zu gewähren sein dürfte, was in der Folge noch dargestellt wird, sollte die Verteidigung sicherheitshalber eine gerichtliche Entscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO beantragen, wenn der Vorsitzende die Entscheidung über den Antrag alleine trifft.
[4] BGH 3, 386, 388; Meyer/Großner, stop, 47. A., Rdnr. 2.
[5] Armin Nack, Verteidigung bei der Glaubenswürdigkeitsbeurteilung von Aussagen, StV 1994, 555, 559.
[6] Nack, a.a.O.
[7] Heinrich Hannover, „Die Republik vor Gericht 1975-1995“, S. 70, 71.
[8] Inzidenter ergibt sich dies aus RGSt 64, 385, 386 u. BGHSt 17, 201, 203, wo der Ausschluss einzelner Personen in Anwendung des § 172 GVG diskutiert wird.
[9] Schneiders, StV 1990, 91.
[10] RGSt 64, 385, 386.
[11] Schweling DRiZ 1970, 385.
[12] Kissel, GVG, 4. A., § 172 Rdnr. 24, 25
[13] Deckers, StV 458, 459, versucht dies mit der in den Verfahren nach §§ 171 a ff. GVG festgeschriebenen Formstrenge, was m. E. nicht weiterführt, da lediglich das Verfahren nach § 177 S. 2 GVG in die Anordnungsbefugnis des Vorsitzendes gestellt und damit der Formstrenge entkleidet ist. Es stellt damit eine für grundsätzliche Unterscheidungen nicht geeignete Ausnahme dar.
[14] BVerfGE 50, 234, 242.
[15] BGH StV 1982, 409, 410; BGH MDR 1973, 730.
[16] Straussberg MDR 1977, 712, 713f.
[17] Meyer/Goßner, 47. A., § 244 Rdnr. 20.
[18] Deckers, Der strafprozessuale Beweisantrag, Nomos Verlag Baden-Baden, S. 76; Meyer/Goßner § 244 Rdnr. 6-9.
[19] Meyer/Goßner § 238 Rdnr. 11.
[20] Straussberg a. a. O., S. 712.
[21] Deckers a.a. O.
[22] BGHSt 17, 201, 203.
[23] 2 BvR 27/05.